Analyse von Georg Herz
Die Frage, wem ein spezifischer Sport gehöre, ist eine schwierige und davon abhängig, aus welcher Perspektive eine solche Bewertung vorgenommen wird. Grob lassen sich jene, die den Fußball für sich reklamieren, in drei Gruppen zusammenfassen: Vereinsoffizielle und Konzerne, Spieler:innen und aktive/organisierte Fans. Diese Gruppen agieren nicht unabhängig voneinander, sondern stehen selbst in einem Spannungsfeld der Interessen, die sich teilweise überschneiden. Es lohnt sich ein genauerer Blick, welches Interesse diese Gruppen verfolgen und in welcher Beziehung sie zueinanderstehen.
Vereinsoffizielle & Konzerne
Der Fußball ist in den Augen des Kapitals vor allem eines: ein Milliardengeschäft. Auf die Meinung der Fans und Spieler:innen wird dort nur soweit wertgelegt, wie es der Gewinnmaximierung zuträglich ist. Das zeigt sich vor allem in den vergangenen zwei Jahrzehnten, wenn Fußballklubs zu Werbezwecken vollkommen ihrer Identität beraubt werden und demokratische Kontrollmechanismen ausgesetzt weden. So geschehen beispielsweise 2005, bei der Übernahme der SV Austria Salzburg durch den reaktionären Red-Bull Chef Dietrich Mateschitz. Kurzerhand wurde die Geschichte des Vereins, samt seiner wesentlichen Identifikationsmerkmale wie Farben, Wappen, Name und Fanstruktur eingestampft. „Investoren“, die de facto die Vereine besitzen, agieren dabei immer nach einem ähnlichen Muster: Sie inszenieren sich als Messias, der endlich den sportlichen Erfolg bringt, den sich die Fans so lange ersehnt haben – die Fans müssten nur bereit sein, auf Form und Inhalt des Herzensvereins zu verzichten. Selbst wenn der sportliche Erfolg eintritt, ist vom eigentlichen Verein oft nichts mehr übrig. Bleibt der Erfolg aus, erlischt der Alleinherrscher-Anspruch der „Investoren“ keineswegs. Prominentes Beispiel hierfür ist Hasan Ismaik, der den Münchner Traditionsverein 1860 München seit 2011 in Geiselhaft hält, sie in die sportliche Bedeutungslosigkeit führte und sogar gegen die eigenen Fans prozessierte. Hinter Heilsversprechen und idealistischen Wortgebilden instrumentalisieren Investoren den Fußball, um ihn als Werbeplattform zu missbrauchen bzw. ihren persönlichen Reichtum zu vermehren. Während Investoren von vollkommen durchkommerzialisierten Vereinen meist keinen Zweifel daran lassen, dass sie es sind, die über den Verein bestimmen, äußert sich der Machtanspruch bei umkämpften Klubs meist versteckter. Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender der Bayern München AG, äußerte sich dazu kürzlich folgendermaßen: „Die Fans sind Teil des Fußballs, aber er gehört ihnen nicht.“ In anderen Worten: Als Showelement sind Fans gerne willkommen, bei der Ausgestaltung des Sports weniger.
Allerdings ist die Darstellung von bösen Kommerzvereinen auf der einen und guten Traditionsvereinen auf der anderen Seite eine verkürzte. Auch Traditionsvereine unterliegen der kapitalistischen Logik und haben gleichermaßen ein Profitinteresse. Die eigene Geschichte und fanatische Fanszenen sind hier, anders als bei „Kommerzclubs“, keine Last, die man loswerden möchte – sie sind Teil der Marketingstrategie.
Spieler:innen
Egal ob Profi oder Amateur – Fußballer:innen sind das Fundament des Sports. Auf das Wohl der Spieler:innen wird im modernen Fußball allerdings kaum Rücksicht genommen. Bereits im jungen Alter werden sie ihrem Umfeld entrissen und quer durch die Welt verschifft. Vor allem lateinamerikanische und afrikanische Länder bieten hier oft „billiges Spielermaterial“, das später am europäischen Transfermarkt um das zigfache weiterverkauft werden kann. Spielerberater, die an Transfers kräftig mitverdienen, und Vereine, die den Handel mit Spieler:innen zum Geschäftsmodell machen, lassen den Spieler zur Ware werden. Das Bosmann-Urteil aus dem Jahr 1995 war der erste und zugleich letzte Schritt, der das Machtverhältnis zwischen Verein und Spieler etwas zum Ausgleich brachte: Es erlaubte Spieler:innen, nach Ablauf ihres Vertrages ablösefrei zu wechseln. Bis dahin hatte der Verein seine Spieler:innen buchstäblich besessen. Oftmals wird Fußballer:innen deshalb mangelnde Vereinstreue nachgesagt – allerdings ist auch ihr Entscheidungsspielraum innerhalb der modernen Fußballindustrie beschränkt.
Gewiss tragen sie dieses System meist selbst widerstandslos mit und nicht selten treiben sie nach ihrer aktiven Karriere als Funktionäre selbst den Kommerzialisierungsprozess weiter voran.
In diese Situation kommen allerdings die allerwenigsten Profis: Von glorreichen Trainerkarrieren und Funktionärsposten mit Millionengehältern könnten die meisten Profifußballer im Ruhestand nicht weiter entfernt sein. Umso verwunderlicher scheint es, wenn ein Spieler von Real Madrid das mangelnde Mitspracherecht an der Ausrichtung des Fußballs beklagt. Der deutsche Mittelfeldspieler Toni Kroos kommentierte die neuesten Pläne der europäischen Spitzenklubs, eine länderübergreifende Liga ohne sportliche Qualifikationsmöglichkeiten zu gründen, folgendermaßen: „Wir entscheiden sowas als Spieler ja leider nicht. Wir sind nur die Marionetten von FIFA und UEFA. Wenn es eine Spielergewerkschaft geben würde, dann würden wir auch keine Nations League oder keinen spanischen Supercup in Saudi-Arabien spielen.“ Auch wenn die immergleichen Phrasen in Interviews meist anderes vermuten lassen, sind auch Spieler nicht mit allen Entwicklungen einverstanden, doch das eigene Ohnmachtsgefühl gegenüber den mafiösen Profi-Fußballverbänden ist letztendlich stärker als der Wille zum Widerstand.
Fans
Die 90er-Jahre waren ein Wendepunkt im Profifußball. Viele Vereine gingen an die Börsen, nicht wenige Traditionsvereine gefährdeten dadurch ihre eigene Existenz. Die Stadien waren kaum gefüllt und mit der rasanten Kommerzialisierung des Fußballs wurde versucht, den Fan zum reinen Konsumenten zu degradieren. Es ist kein Zufall, dass sich Fans allerorts begannen, sich in Fangruppierungen zu organisieren – bislang passive Zuschauer:innen organisierten Faninitiativen und aus leidenschaftlichen Anhänger:innen wurden Ultras. Im Mutterland der Ultra-Kultur Italien, vereinzelt auch anderswo, existierten solche Gruppierungen schon länger, zum internationalen Phänomen wurden sie aber erst vor 30 Jahren. Egal in welcher Form – Fans begannen, sich selbst eine Stimme zu verschaffen, oftmals auch außerhalb der offiziellen Vereinsstrukturen. Mehr und mehr Fußballbegeisterte sahen, wie die Entwicklung des Sports, vor allem auch abseits des Rasens, gegen ihre eigenen Interessen durchgesetzt wurde. Es wäre illusorisch zu behaupten, die Reaktion der Fans wäre einem gestärkten (Klassen-)Bewusstsein entsprungen. Vielmehr handelten sie instinktiv, als sie die (drohenden) Verschlechterungen am eigenen Leib spürten. Der Support des angestammten Vereins war intensiver denn je und trotzdem ging das Selbstverständnis des eigenen Wirkungsbereichs weit darüber hinaus.
Der Klassenkampf wurde nun aktiv in die Kurven getragen. Je lauter Fans ihre Stimmen erhoben, demokratischere Strukturen forderten oder auf zugespitzte Art jene an den Pranger stellten, die im Kick nicht mehr als eine Gelddruckmaschine sahen, desto härter wurde auch die Repression. Dort, wo es Fans verpassten, sich zu organisieren, machten ihre Widersacher kurzen Prozess. Das prominenteste Beispiel ist England, wo Stehplätze abgeschafft wurden, astronomisch-hohe Ticketpreise verlangt werden und totale Überwachung vorherrscht. Im Mutterland des Fußballs wurde die Arbeiter:innenklasse aus dem Stadion in die Pubs verbannt. Doch auch hier regt sich in den letzten Jahren vermehrt Widerstand. Auf der ganzen Welt kämpfen Fans unter unterschiedlichsten Bedingungen gegen die Auswüchse des Fußballs im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts. Sei es in Österreich gegen staatliche Repression, in Griechenland gegen Korruption oder im Iran für das Recht von Frauen, ins Stadion gehen zu dürfen. Die aktiven Fanszenen machen über Kontinentalgrenzen hinweg klar, dass sie es sind, die den Fußball besonders machen. Für Spieler:innen ist ein Klub meist nicht mehr als eine von vielen Stationen in ihrer Karriere und für Vereinsoffizielle ist das Klubinteresse meist gleichbedeutend mit (den eigenen) finanziellen Interessen.
Fußball ist Klassenkampf
Der Fußball ist zu jedem Zeitpunkt Ausdruck eines Interessensgemenges von Fans, Spielern und Kapital. Kurz gesagt: Er ist als umkämpftes Feld Spiegelbild des Klassenkampfes. Insofern ist die Frage „Wem gehört der Fußball?“ eigentlich eine falsche, vielmehr sollte sie lauten: „Wem sollte der Fußball gehören?“ Das Verlangen von Fans nach Demokratisierung und Gestaltung des Sportes nach ihren Vorstellungen bietet die Chance, eine Sportkultur nach der Vorstellung von Fans und der Spieler:innen zu schaffen – im Wege stehen ihnen dabei jedoch nicht nur FIFA-Bonzen und Konzerne, sondern mit dem Kapitalismus ein ganzes Gesellschaftssystem.