Marxistisches ABC: B wie Bourgeoisie

Gast-Reihe von Dr. Hannes Fellner

Das Marxistische ABC stellt in jeder Ausgabe einen neuen Begriff der von Marx und Engels begründeten Gesellschaftslehre vor, auf die sich die kommunistische Weltbewegung bezieht. Es erklärt, was der jeweilige Begriff bedeutet und warum er von Wichtigkeit ist. In dieser Ausgabe geht es mit B wie Bourgeoisie weiter.


A us dem ersten Teil unserer Serie wissen wir: Marx und Engels erkannten den Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen als Hauptantrieb gesellschaftlicher und geschichtlicher Entwicklung.

Die Menschen mit ihren Fähigkeiten, das von ihnen hervorgebrachte wissenschaftlich-technische Wissen und die Produktionsmittel (Arbeitsmittel, also Werkzeuge, Maschinen etc. und Arbeitsgegenstände, also die natürlichen Ressourcen) bilden die Produktivkräfte. Die gesellschaftlichen Beziehungen, welche die Menschen unabhängig von ihrem Willen in der Produktion des materiellen Lebens eingehen, sind die Produktionsverhältnisse.

Die Produktionsverhältnisse sind die „in letzter Instanz“ (Engels) entscheidende ökonomische Basis, die in Wechselwirkung mit einem rechtlichen und politischen sowie wissenschaftlichen, kulturellen, ideologischen Überbau verschränkt ist. Der „juristische Ausdruck“ (Marx) des bestimmenden Produktionsverhältnisses – der Stellung der Menschen im Produktionsprozess, insbesondere zu den Produktionsmitteln – sind die Eigentumsverhältnisse.

Klassen sind dann demgemäß „große Menschengruppen, die sich voneinander unterscheiden nach ihrem Platz in einem geschichtlich bestimmten System der gesellschaftlichen Produktion, nach ihrem (größtenteils in Gesetzen fixierten und formulierten) Verhältnis zu den Produktionsmitteln, nach ihrer Rolle in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit und folglich nach der Art der Erlangung und der Größe des Anteils am gesellschaftlichen Reichtum, über den sie verfügen. Klassen sind Gruppen von Menschen, von denen die eine sich die Arbeit einer andern aneignen kann infolge der Verschiedenheit ihres Platzes in einem bestimmten System der gesellschaftlichen Wirtschaft.“ – Lenin-Werke 29: S. 410

Wir wissen auch, dass es im Kapitalismus zwei Hauptklassen gibt: traditionell Bourgeoisie und Proletariat bzw. Bürgertum oder Kapitalist:innenklasse und Arbeiter:innenklasse. Diese unterscheiden sich eben genau nach ihrem „Verhältnis zu den Produktionsmitteln, nach ihrer Rolle in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit und folglich nach der Art der Erlangung und der Größe des Anteils am gesellschaftlichen Reichtum“.

Die Arbeiter:innenklasse hat kein Eigentum an Produktionsmitteln und ist daher gezwungen, ihrer Arbeitskraft an diejenigen zu verkaufen, die über die Produktionsmittel verfügen – die kleine Minderheit der Kapitalist:innenklasse. Während der gesellschaftliche Reichtum, die materiellen, sozialen, kulturellen und wissenschaftlichen Werte, von der Arbeiter:innenklasse – der großen Mehrheit der Menschen – also gesellschaftlich produziert wird, wird der größte Teil dieses Reichtums von Kapitalist:innen privat angeeignet. Das ist der Hauptwiderspruch im Kapitalismus. Ein Widerspruch zwischen einer kleinen Minderheit und der großen Mehrheit der Bevölkerung.

Die kleine Minderheit der Kapitalist:innen sind die Besitzer:innen von Konzernen und Banken, von enormen Vermögen, Großgrundstücken und Medienimperien. Das sind Leute wie Jeff Bezos, Eigentümer eines Onlineversands und aktuell mit einem Vermögen von 171 Milliarden US-Dollar die reichste Person der Welt, in den USA und Dietrich Mateschitz, Eigentümer einer Getränkemarke und aktuell mit einem Vermögen von 16,5 Milliarden US-Dollar die reichste Person in Österreich.

Da die Kapitalist:innen ökonomisch und finanziell das Sagen haben, haben sie es auch politisch sowie in anderen Sphären der Gesellschaft. Die bürgerliche ist die herrschende Klasse im Kapitalismus. Zwar sind die Kapitalist:innen ebenso wie der Arbeiter:innenklasse keine einheitliche Gruppe; sie stehen weltweit, aber auch in allen Industrieländern miteinander um billige Arbeitskräfte, Ressourcen, Technologien und Absatzmärkte (was die ökonomische Grundlage von Krieg ist) in Konkurrenz. Allerdings haben sie der Arbeiter:innenklasse das Bewusstsein voraus, dass sie eine Klasse sind, und können damit trotz aller Differenzen ihren privaten Interessen gemeinschaftlichen Ausdruck verleihen. Der Staatsapparat ist den Kapitalist:innen dabei dienlich und tritt als „ideeller Gesamtkapitalist“ (Engels) auf, welcher die Interessen der bürgerlichen Klasse vertritt und durchsetzt. (Wie gut und weitreichend dies gelingt, hängt von der Stärke, insbesondere der organisierten Arbeiter:innenklasse ab.) Die meisten etablierten Parteien in den Industrieländern, so auch in Österreich, vertreten die Interessen der Kapitalist:innenklasse – manchmal offener, dann wieder verdeckter.

Die Herrschaft der Kapitalist:innen ist auf den ersten Blick nicht leicht zu durchschauen, weil sie mit ganz unterschiedlichen Mitteln und auf verschiedenen Ebenen ausgeübt wird. Aber jedes Mal, wenn Politiker:innen, Medienleute, Expert:innen über „die Wirtschaft“, „den Markt“, „den Standort“, „den Tourismus“ etc. reden, geht es meist nicht einmal um Unternehmen, sondern schlicht und ergreifend um deren Besitzer:innen und deren Interessen.

Die herrschende Klasse tut alles, um herrschend zu bleiben. Das geht mit umfassender Korruption der Politik (Ibizia-Affäre-Stichwort: „Novomatic zahlt alle.“), mit dem Drehtür-Effekt (mal wird ein/e PolitikerIn in „die Wirtschaft“ berufen, mal wird ein/e UnternehmerIn PolitikerIn) und mit umfassender Lobbyarbeit. (Ein interessantes Beispiel für Letzteres ist, dass die meisten Ölkonzerne seit Jahrzehnten über die durch fossile Brennstoffe verursachte Klimaerwärmung und ihre Auswirkungen Bescheid wussten, diesen Umstand aber durch gezielte Kampagnen in Politik und Medien unterdrückten.) Natürlich gehört zu diesem Repertoire an Herrschaftsformen auch brutale Unterdrückung bis hin zur offenen Diktatur. (Faschismus ist nichts anderes als die Diktatur der reaktionärsten Teile der Kapitalist:innenklasse.)

Außerhalb der unmittelbar politischen Sphäre herrschen die Kapitalist:innen durch vielfältige Beeinflussung über Medien, das Bildungssystem, Werbung etc. Durch diese Maßnahmen wird uns eingeredet, dass es normal ist, dass in der kapitalistischen Welt Menschen hungern, während Lebensmittel vernichtet werden, Wohnungen leerstehen, während Menschen erfrieren, Unternehmen trotz aus unseren Steuern finanzierter Staatshilfe Menschen in die Arbeitslosigkeit schicken, während die Besitzer:innen dieser Unternehmen satte Gewinne einstreifen.  Die schlimmste Propaganda der bürgerlichen Klasse ist, dass es keine Alternative zum Kapitalismus gäbe, dass alle Versuche, eine solche zu erkämpfen, zum Scheitern verurteilt waren und seien, dass Widerstand zwecklos sei. Dem ist nicht so.

Einfluss und Macht der Kapitalist:innen hängt einzig und allein davon ab, wie organisiert und klassenbewusst wir, die große Mehrheit der Gesellschaft, die Arbeiter:innenklasse, sind. Daher müssen wir uns gegen die Kapitalist:innenklasse verbünden, miteinander solidarisch sein, uns organisieren, uns engagieren, uns bilden. Nur so kann dem allgegenwärtigen Klassenkampf von oben ein Klassenkampf von unten entgegengesetzt werden. Nur so können wir gegen die Kapitalist:innen Schritt für Schritt Verbesserungen in unserem Leben, in Schule, in Arbeit und in der Gesellschaft erkämpfen. Nur so können wir schließlich den Kapitalismus überwinden, das Privateigentum an Produktionsmitteln abschaffen und damit „alle Verhältnisse umwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“ – Marx-Engels Werke 1: S. 380

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