Heimat, revolutionäre Heimat – Teil 1

Eine Reihe von Leonhard Engelmaier

Österreich sei das Land der Berge und der Äcker, der Dome und der Hämmer, heißt es in der Bundeshymne. Aber Österreich ist auch ein Land der Revolutionen. Die in der Hymne besungenen Äcker pflügen sich nicht von selbst, jeden Hammer fasst eine Hand und auch Dome wollen erbaut werden. Zu keiner Zeit haben die arbeitenden Menschen in Österreich die unterdrückenden Zustände ihrer Zeit nur still ertragen. Sie haben immer wieder gegen sie aufbegehrt. Was diese Zustände waren, was unsere revolutionären Vorgänger:innen im Sinn hatten als sie ihre Revolutionen machten und wie ihr Kampf ausging, darum soll es in dieser Serie gehen.

Teil 1: Der Bauernkrieg

Exakt 496 Jahre ist es heuer her, dass Zentral­europa durch die Bauernkriege des Jahres 1525 erschüttert wurde. Auch im heutigen Österreich sind damals Menschen aufgestanden, haben Forderungen formuliert und für deren Erfüllung gekämpft. Was hat sie dazu bewogen? Was waren ihre Forderungen? Waren sie erfolgreich?

Österreich, wie es heute besteht, mit seinen neun Bundesländern, gab es damals noch nicht. Auf dem Gebiet des heutigen Österreich gab es einige Herzogtümer, allesamt unter Herrschaft der Habsburger. Salzburg unterstand einem Bischof und das Burgenland gehörte zu Ungarn. Auch der Kapitalismus war noch nicht das vorherrschende System. Ganz Europa lebte im Feudalismus. Der Großteil der Menschen lebte von der Landwirtschaft. Sie bestellten den Grund adeliger Grundherrn, denen sie von ihren Erzeugnissen und in Geldbeträgen Abgaben entrichten und für den sie ohne Lohn Arbeiten verrichten mussten. Dieser Adel wiederum sollte dafür im Gegenzug für Recht und Ordnung sorgen und die Bevölkerung beschützen. Auch kirchliche Einrichtungen wie Klöster konnten als Grundherrn fungieren. In den wenigen Städten, die es damals bei uns gab, lebten die Menschen vom Handwerk und vom Handel. Nur wenige gingen im Bergbau, in gewissen Landwirtschaftszweigen und im Baugewerbe der heute üblichen Lohnarbeit nach. Darüber standen Landesfürst und Kaiser als nominal oberster Feudalherr. Die Bürger:innen der Städte waren aufstrebend, aber noch weit davon entfernt, eine eigenständige Macht zu bilden. Anders als heute Bourgeoisie und Proletariat standen sich damals also vor allem Adel und Bauern gegenüber.

Am Beginn des 16. Jahrhunderts war der kleinere und mittlere Adel im Niedergang. Aufgrund der zunehmenden militärischen Irrelevanz adeliger Ritterheere und der permanenten Kriegsführung mit dem osmanischen Reich konnten sie ihre Schutzfunktion, und damit ihrer Daseinsberechtigung immer weniger nachkommen. Nicht, dass der Schutz der Bevölkerung Priorität für sie gehabt hätte. Viel wichtiger war es, sich anderen Adeligen und der Krone gegenüber durchzusetzen, sei es auch nur durch protzige Schlösser und feines Gewand. Das wurde zu dieser Zeit aber immer schwieriger. Eine stetig voranschreitende Inflation plagte das Land: Das Geld wurde immer weniger wert – damit schwand auch die Lebensgrundlage des Adels. Der Verkauf der in den Grundherrschaften produzierten Güter und die in klingender Münze bezahlten Abgaben reichten nicht mehr, um die Lebensführung des Adels zu finanzieren. Also kassierte der Adel die von den Dörfern gemeinsam bewirtschafteten Felder und Wälder ein, erhöhte die Abgaben oder erfand einfach schlichtweg neue dazu.

Das setzte den Bauern und Bäuerinnen zu. Verglichen mit ihren Standesgenoss:innen in den meisten heute umliegenden Ländern waren sie zwar bessergestellt, denn sie hatten sich gewisse Rechte erkämpft – ob auf dörflicher Ebene, wo sie in der Rechtsprechung beteiligt waren, oder in den Landsknecht-Armeen Europas, in denen die jüngeren Söhne der Bauernfamilien adelige Ritterheere in die Flucht schlugen. Auch konnten sie meist den Boden, den sie bestellten, verlassen, wenn sie wollten. Doch das bedeutete auch, dass es den Grundherrn wenig kümmerte, wenn eine Bauernfamilie ruiniert durch Abgabenlast und Geldentwertung von dannen zog – es konnte sich ja wieder jemand anderes auf dem Hof ansiedeln.

Anders als beispielsweise im heutigen Deutschland forderten die Bauern und Bäuerinnen hierzulande also nicht die Abschaffung der Leibeigenschaft, denn diese gab es hier ja kaum. Sie forderten stattdessen ihr altes Recht ein: Die Rücknahme der erhöhten und neu eingeführten Abgaben, die Nutzung von früher gemeinsam bewirtschaftetem Land und das Recht zu jagen und zu fischen. Auch Forderungen nach Rechtsprechung durch die dörfliche Gemeinde selbst und die freie Wahl der Priester für die jeweilige Gemeinde waren verbreitet. Diese Forderungen waren auch für Lohnarbeitende am Land und für Bergarbeiter:innen anschlussfähig. Selbst Städte schlossen sich teilweise mit ihren eigenen Forderungen den Bauern und Bäuerinnen an. Der Adel wollte diesen Widerstand gegen seine Macht natürlich niederschlagen, war dazu aber nicht in der Lage. Immer wieder fügten die Bauernhaufen den adeligen Aufgeboten herbe Niederlagen zu. Auf die Unterstützung des Landesherrn, des Habsburgers Ferdinand II., konnte der Adel auch nicht gänzlich zählen. Dieser war an einer Schwächung des Adels ebenso interessiert wie daran, die bäuerliche Klasse an ihrem Platz zu halten. Mit der einen Hand unterstützte er den Adel militärisch, mit der anderen wollte er mit Hilfe der Städte eine Schlichtung herbeiführen. Letzten Endes scheiterten die Bauern und Bäuerinnen aber an ihrer fehlenden Einigkeit und an ihren nur allzu kompromissbereiten Verbündeten. Wie auch im heutigen Deutschland kam es zu keiner völligen Vereinigung der bäuerlichen Kräfte – und das verbündete städtische Bürgertum war nur allzu leicht durch Erfüllung seiner weniger weitreichenden Forderungen durch den Landesfürsten zum Friedensschluss bereit.

Anders als im heutigen Deutschland wurde die bäuerliche Bevölkerung bei uns zwar besiegt, aber nicht völlig geschlagen. Ihre Forderung nach der Rückkehr zu den alten Abgaben wurde zumeist erfüllt und eine Zeit lang auch mehr oder weniger eingehalten. Das Leben kehrte zurück zu Abgaben von den eigenen Erzeugnissen und Arbeitsdiensten für den Herrn. So auch in Tirol: Auch dort wurde ein Großteil der Forderungen angenommen, ja sogar eine Amnestie ausgerufen. Doch gab es in Tirol auch eine radikalere Strömung in der bäuerlichen Klasse, die sich damit nicht zufriedengeben wollte. Rund um den ehemaligen Sekretär des Bischofs von Brixen Michael Gaismair scharten sich all diejenigen aus der bäuerlichen Klasse und aus dem Bergbau, denen die Forderungen nicht weit genug gingen. Auch Flüchtlinge der blutig unterlegenen deutschen bäuerlichen Klasse waren vertreten.

Dieser Gruppe ging es nicht nur um die Wiederherstellung der alten Rechte. Sie hatten etwas Neues im Sinn. Ihr Programm, die Gaismairsche Landesordnung – quasi eine Verfassung für einen neuen Staat –, stellte weitgehende Forderungen: Vorgehen gegen all diejenigen, die den Armen und der Gemeinnützigkeit schadeten; das Niederreißen aller Stadtmauern und Befestigungen, damit alle gleich seien und niemand über den anderen stehe; Justiz- und Schulreformen; Abschaffung von manchen Zinsen und Zöllen; Einsatz von Kirchenabgaben für die soziale Fürsorge; Einrichtung von Krankenhäusern; Kinder- und Altenheimen überhaupt; eine Verbesserung der Landwirtschaft und der Infrastruktur; Preis- und Qualitätskontrollen bei Konsumprodukten; Währungsstabilisation und eine Verstaatlichung und Ausbau des Bergbaus. 1526 wagten sie den Aufstand – doch die Unterstützung aus der Bevölkerung blieb größtenteils aus. Eine Weile konnte sich die revolutionäre Armee halten, doch konnte Gaismair auch noch so ein guter General sein – gegen die vereinte Macht der Fürstenheere war kein Sieg zu holen.

Die Gaismairsche Landesordnung war ihrer Zeit weit voraus. Das in ihr angedachte Sozialsystem, die Verstaatlichung von ganzen Industriezweigen, die Steigerung der Produktion zum Wohle der Bevölkerung klingen schon mehr nach sozialistischen Ideen als nach den Ideen des 16. Jahrhunderts. Die Welt war noch nicht reif dafür. Das städtische Bürgertum – Träger des Handelskapitalismus – war zu dieser Zeit die eigentliche revolutionäre Klasse. Die adelige und bäuerliche Klasse waren dem Untergang geweiht. Eine Rückkehr zur dörflichen Gemeinschaft war nicht mehr möglich. Auch Gaismairs Haltung zur Kirche hätte eher in die Französische Revolution als in seine Zeit gepasst. Für die Flüchtlinge der Aufstände im heutigen Deutschland in Gaismairs Heer, die nach ihrer Niederlage vielleicht die Flucht in die Zukunft antreten wollten, war es das richtige Programm. Doch die Bauern und Bäuerinnen im heutigen Österreich hatten das, was sie als ihr Recht sahen, gerade mit großen Opfern verteidigt. Sie waren nicht bereit, für Ideen aufzustehen, die nicht in ihre Zeit passten.

Die bäuerliche Klasse im heutigen Österreich hatte also unter großen Opfern gerade den Versuch des Adels, sie ihrer Rechte zu berauben, abgewehrt. Für den Adel, vor allem den kleinen Adel, war das katastrophal. Hundert Jahre später werden die Adeligen noch einmal den Versuch starten, das Rad der Zeit zurückzudrehen, doch nach der Schlacht am Weißen Berg 1620 ist ihr Schicksal besiegelt. Die wahren Sieger des Klassenkampfs zwischen Adel und bäuerlicher Klasse war das städtische Bürgertum und der Landesfürst. Das Bürgertum hatte durch die Vermittlertätigkeit an Einfluss gewonnen, der nun geschwächte Adel konnte seinen Aufstieg weniger bremsen. Hinter dem Landesfürsten standen nun mehr und mehr die Bürger.

Ein paar hundert Jahre später standen hinter dem Kaiser dann die großen Bourgeois. Und dann ist es Zeit für uns – das Proletariat – die Bühne zu betreten. Doch dazu mehr in den nächsten Teilen von „Heimat, revolutionäre Heimat“.

Dir gefällt, was du liest?

Hol dir die VORNEWEG 4x jährlich zu dir ins Postkastl!

Jetzt abonnieren!

Der Mythos „Friedensunion“

Eine Reihe von Elena Ellmeier & Jan Nausner Die EU wird gemeinhin als die größte politische Errungenschaft Europas verkauft – zumindest in Österreich. Bemerkenswerterweise wird...

Wem gehört der Fußball?

Analyse von Georg Herz Die Frage, wem ein spezifischer  Sport gehöre, ist eine schwierige und davon abhängig, aus welcher Perspektive eine solche Bewertung vorgenommen wird....

Marxistisches ABC: B wie Bourgeoisie

Gast-Reihe von Dr. Hannes Fellner Das Marxistische ABC stellt in jeder Ausgabe einen neuen Begriff der von Marx und Engels begründeten Gesellschaftslehre vor, auf die...

Heimat, revolutionäre Heimat – Teil 1

Eine Reihe von Leonhard Engelmaier Österreich sei das Land der Berge und der Äcker, der Dome und der Hämmer, heißt es in der Bundeshymne. Aber...

Verleugneter Widerstand

Ein Rückblick von Dr. Hannes Fellner Der österreichische Widerstand gegen den Faschismus ist ohne Zweifel einer der ruhmreichen Höhepunkte in der Geschichte der fortschrittlichen Kräfte...