Der Mythos „Friedensunion“

Eine Reihe von Elena Ellmeier & Jan Nausner

Die EU wird gemeinhin als die größte politische Errungenschaft Europas verkauft – zumindest in Österreich. Bemerkenswerterweise wird die EU quer durch das politische Farbspektrum als die Heilsbringerin schlechthin gefeiert, mittlerweile sogar in rechten Kreisen. Manche Parteien gehen hier noch weiter und befinden den Nationalstaat Österreich als überholt und legen somit jegliche Souveränität im Sinne der EU ad acta. So ist es wenig überraschend, dass sogar die sonst vermeintlich kritischsten Geister in dieser Causa schweigen, da der allgemeine Tenor lautet, EU-Kritik könne ausschließlich von einer rechtsextremen, nationalistischen Ecke herrühren. Die Frage, die sich uns nun aufdrängt, ist, ob wir uns dieser Allgemeinstimmung beugen oder ob es nicht langsam Zeit wird, endlich Stellung zu beziehen – und das von links! Aus diesem Grund starten wir unseren ersten EU-Artikel zum Thema Friedensunion und untersuchen, ob sich die EU tatsächlich mit diesem Begriff schmücken kann.

»So gab es noch nie in der Geschichte Europas so lange Frieden am Stück, jetzt bereits seit 70 Jahren.«

Dieser Satz stammt aus der Rede des damaligen Kommissionspräsidenten Jean- Claude Junckers, die er zum Anlass der Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU geschwungen hat. So muss man sich doch über die Geographiekenntnisse des ehemaligen EU-Oberhauptes Sorgen machen, der schlichtweg den halben Balkan und die Ukraine vom europäischen Kontinent fegte. Der Jugoslawienkrieg, immerhin die größte militärische Auseinandersetzung auf europäischem Boden seit 1945, scheint unter EU-Spitzenpolitiker:innen und Konsorten bereits in Vergessenheit geraten zu sein. Vergessen wurde anscheinend auch, dass diverse einflussreiche Mitgliedstaaten (z. B. Deutschland), legitimiert durch absurde Kriegspropaganda, 1999 in Jugoslawien massiv militärisch intervenierten und eine zerrissene, instabile Region hinterlassen haben. Von der selbsternannten Friedensunion hätte man doch erwarten können, dass in diesem Konflikt eine einheitliche, friedvolle Strategie mit dem Ziel der Deeskalation gefahren wird. In Wahrheit hüllte sich die EU jedoch in Schweigen und sah tatenlos dabei zu, wie sich EU-Mitgliedsstaaten am völkerrechtswidrigen NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien beteiligten.

Mehr als ein Jahrzehnt später und einige hundert Kilometer nordöstlich bekommt man ein ähnliches Bild präsentiert. Auch im anhaltenden Ukrainekonflikt tritt die Europäische Union alles andere als friedensstiftend auf. Dieser bis heute anhaltende Krieg fand seinen Ursprung in den Maidan-Protesten, wo die EU der Ukraine mit tatkräftiger Unterstützung ehemaliger oppostioneller Kräfte ein höchst umstrittenes Freihandelsabkommen aufzwang. Diese vom Ausland aus gelenkten Unruhen führten zu der Flucht des damaligen Präsidenten Janukowitsch und gipfelten in einer bis heute anhaltenden bewaffneten Auseinandersetzung.

In beiden Fällen wurde die Souveränität von EU-Nachbarstaaten grundlegend untergraben. Das lässt die Frage offen, ob auf dieser Grundlage eine Rechtfertigung für den Friedensnobelpreis gegeben ist.


»Die europäische Einigung ist ein historisch einzigartiges Friedensprojekt mit Ausstrahlung weit über Europa hinaus.«

Angesichts der Tatsache, dass die EU zweitgrößter Waffenexporteur der Welt ist, stellt sich die Frage, was Sigmar Gabriel, ehemaliger SPD-Vorsitzender, hier mit „Ausstrahlung weit über Europa hinaus“ gemeint hat. Es ist auch immerhin Deutschland, das innerhalb der EU-Mitgliedstaaten am zweitmeisten Waffenexporte zu verzeichnen hat, wobei 40 % davon ein Ziel außerhalb von EU und NATO haben. Mit einer Steigerung der Waffenexport-Rate um 72 % im Vergleich zum Zeitraum 2010 bis 2014 kann auch Frankreich mit den EU-weit meisten Waffenexporten in dieser Statistik glänzen. Diese zwei Gründungsmitgliedstaaten der EGKS – die Vorgängerorganisation der EU – sind von ihrer selbstproklamierten Kriegsgegnerschaft Lichtjahre entfernt.

Die fast noch wichtigere Frage ist, wo diese Waffen ankommen und welche Konflikte damit befeuert werden. Recherchen konnten belegen, dass EU-Mitgliedstaaten Waffen an Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, die Ukraine, Ägypten und die Türkei liefern, um nur einige Beispiele zu nennen. Diese Länder beteiligen sich militärisch an Konflikten im Jemen, in Syrien, in Libyen und in der Ukraine, wobei das EU-Kriegsmaterial zur regionalen Destabilisierung beiträgt und als Werkzeug für Kriegsverbrechen dient.8

Doch nicht nur im Export-Business waren diese EU-Staaten tätig, Frankreich und Großbritannien entsenden momentan auch Streitkräfte in diverse Konfliktregionen wie nach Syrien  und beteiligen sich damit aktiv an aktuellen Kriegsgeschehen. Offensichtlich ist: Sigmar Gabriel hat mit seiner Aussage recht behalten, es sei so einiges aus Europa ausgestrahlt – Frieden war es aber jedenfalls mit Sicherheit nicht.


»Es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen.«
– Sebastian Kurz, 2016

So vermeintlich friedlich sich die EU auch inszenieren mag, so tödlich sind ihre Außengrenzen. An diesen sterben jährlich tausende Menschen. Allein 2016 sind über 5.000 Flüchtlinge beim Versuch, nach Europa überzusetzen, im Mittelmeer ertrunken. Ein Blick auf die Statistik zeigt, dass ein großer Teil dieser Flüchtlinge hausgemacht ist, denn sie kommen vorwiegend aus Konfliktregionen, in denen die EU mitmischt, wie wir bereits in den vorangegangenen Absätzen herausarbeiten konnten. Außerdem legt die EU mit Flüchtlingsabkommen unter fragwürdigsten Bedingungen weitere Steine in den Weg jeder schutzsuchenden Person, da mit ihnen der Grenz-„Schutz“ an Drittstaaten wie die Türkei oder Libyen ausgelagert wird. Damit begibt sich die EU nicht nur in eine Position der politischen Erpressbarkeit, sondern nimmt auch die besonders menschenunwürdige Behandlung von Flüchtlingen in diesen Ländern in Kauf.

Doch in der EU will man hier nichts dem Zufall überlassen: So kümmert man sich auch zusätzlich selbst um den Grenzschutz und hat vor allem nach der Flüchtlingskrise 2015/16 die hauseigene Behörde Frontex massiv aufgerüstet. Wenn man nun die Tatsache beiseitelegt, dass eine solche Organisation in ihrer Natur grundsätzlich nicht friedensstiftend sein kann, so würde man meinen, dass sich eine Friedensunion bei einer so verantwortungsvollen Aufgabe um eine strenge Kontrolle der Aufrechterhaltung menschenwürdiger Standards kümmern würde. Leider beweist eine nicht enden wollende Liste an Menschenrechtsverletzungen und Misshandlungen das genaue Gegenteil.

Doch selbst wenn der Grenzübertritt geschafft ist, sehen die Zukunftsperspektiven einer flüchtenden Person alles andere als rosig aus. Dutzende Berichte erfassen, was uns auch nicht zuletzt die Situation in Moria ganz aktuell vor Augen geführt hat: In Europa werden Menschenrechte in Flüchtlingslagern mit den Füßen getreten und Menschen unter den unwürdigsten Bedingungen „untergebracht“. Das ist unter anderem auch auf die fehlenden Regelungen und fehlende Koordination seitens der EU zurückzuführen, die es nicht für nötig gehalten hat, im Zuge der Flüchtlingswelle den ohnehin wirtschaftlich benachteiligten Mittelmeerstaaten unter die Arme zu greifen und die Flüchtlinge gerecht über die Mitgliedstaaten aufzuteilen. Im Gegenteil: Die Dublin-Verordnung verlangt, dass Flüchtlinge ihren Asylantrag im Ankunftsland stellen, wodurch es zu einer massiven Überbelastung einiger weniger Mitgliedstaaten kommt.

Weiters glaubt man, mit den verbreiteten Bildern schrecklicher Lager wie Moria eine Politik der Abschreckung zu fahren, die mit einem Menschlichkeitsanspruch schlicht unvereinbar ist.

Wie man nun klar sehen kann, entbehrt der Begriff „Friedensunion“ als Beschreibung der EU jeglicher Grundlage. Nicht nur befeuert die EU Konflikte auf anderen Kontinenten und sogar auf europäischem Boden, ihre Mitgliedsstaaten beteiligen sich mit ihrer Billigung sogar aktiv an Kriegsgeschehen. Obendrauf begegnet die EU den Konsequenzen ihrer verfehlten Politik – den Flüchtlingen – mit Rassismus, Hetze und weiterer Gewalt, anstatt das Mindeste zu tun und ihnen Schutz zu gewähren. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass man EU-Kritik nicht den rechten Kräften überlassen kann und sich nicht blind in fatale Projekte wie eine gemeinsame EU-Armee stürzen sollte. Geschichte und Gegenwart sind wohl nur ein bitterer Vorgeschmack auf weitere tödliche Abenteuer mit EU-Stempel.

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